Mittwoch, 4. März 2015

Wenn die Seele einbricht

Vorneweg: Ich bin kein Grönemeyer-Fan. Wobei natürlich Zeilen, wie "Männer nehmen in den Arm, Männer geben Geborgenheit, Männer weinen heimlich, Männer brauchen viel Zärtlichkeit" schon mein junges Frauendenken beeinflusst haben. Damals. Also Mitte der 80er Jahre. Und damit lange her. Insgesamt war mir sein Sound zu wenig soulig, also zu wenig von dem getragen, was ich als die positive, stärkende Kraft in der Musik empfinde. Den Mann hinter "Männer", "Flugzeuge im Bauch" und "Bochum" stellte ich mir hart vor, zackig, erfolgsverwöhnt. Ein Vor-Urteil, wie sich herausstellte, als ich ihn kennenlernte.

Live und unplugged hat er mich zum Fan gemacht: Herbert Grönemeyer

Grönemeyer live

Der Mann füllt Stadien, hat über 13 Millionen Alben verkauft, vereint in seinen Konzerten Generationen (wirklich: Junge singen seine Songs textsicher genauso mit wie sogenannte Best-Ager) und da steht er in einem Konferenzsaal in Magdeburg am Rednerpult und ist nervös, aufgeregt, hoch emotional. Denn er redet über Gefühle, über Trauma und Trauer, über die heilende Kraft von Musik. 


Wenn die Seele einbricht

1998 war es. Da starb sein Bruder und wenige Tage darauf seine Frau. Beide waren krank. Der Tod von beiden war nur eine Frage der Zeit. Und doch war die Katastrophe für Herbert Grönemeyer so groß, dass er unfähig war zu denken. Nur seine damals 9- und 11-jährigen Kinder ließen ihn agieren und funktionieren. Innerlich fühlte er sich wie tot, als wären seine Gefühle mit Bruder und Frau mitgestorben. Er empfand nichts mehr, machte keine Musik mehr, verstummte.



Psychotherapie hilft beim Aufräumen der Seele

"Wenn ich mir etwas gebrochen habe, gehe ich zum Arzt", erklärt Grönemeyer. "Wenn das Herz aus dem Rhythmus gerät, lassen wir es überprüfen, aber wenn die Seele ihre Balance verliert, dann sollen wir das mit uns ausmachen und einfach weitermachen", führt er seinen Gedanken fort. Er selbst war nach den traumatischen Erlebnissen an dem Punkt, an dem er nicht mehr weiterwusste, nicht mehr weiterkonnte und Hilfe suchte. Eineinhalb Jahre ging er zu einer Psychologin, die ihn durch große Tiefen und bodenlose Verzweiflung hindurchmanövrierte. Dann war er auch wieder fähig, Musik zu machen. Die Platte "Mensch" war nach seinen Worten "sein erstes Durchatmen nach der Katastrophe". Das Lied "Bleibt alles anders" ist für ihn das beste und wichtigste, das er je geschrieben hat.
  


Für ihn war die psychotherapeutische Begleitung ein Anker, der ihn wieder Halt im Leben finden ließ. Daher setzt er sich seit über 15 Jahren für den Abbau von Vorurteilen psychisch Kranken gegenüber ein, ist Schirmherr der Wanderausstellung "Dämonen und Neuronen: Psychiatrie gestern - heute - morgen".
Und so ganz nebenbei hat er mich nicht nur berührt mit der unmittelbaren Ehrlichkeit, den tiefen Gefühlen von Verzweiflung, Trauer und Hoffnung, die er in seinem Vortrag vermittelt hat, er hat mich auch für seine Musik begeistert. "Musik ist die Form von Kunst", hat er mir gesagt, "die am tiefsten die Seele und das Nervenkostüm berührt, die Ängste nimmt und heilen kann". Ja, das kann sie. Und während ich das schreibe, höre ich mir seinen Song "Morgen" an. Irgendwie, woran das wohl liegen mag, steckt da viel drin von meinem erwachsenen Frauendenken.

1 Kommentar:

  1. Dein Text berührt mich, liebe Raphaela! Dafür gibt´s wohl mehrere Gründe. "Bochum, ich komm´aus dir", "Kinder an die Macht!", "Ich finde keinen Parkplatz, ich komm´zu spät zu dir mein Schatz...", "Gehste inne Stadt, watt macht dich da satt? ´Ne Currywurst", die starken Zeilen von "Mensch". Grönemeyer begleitet mich seit Teenagertagen. Finde, er ist eine wahnsinnig tolle und reflektierte Persönlichkeit. Ich habe den Eindruck, die unendlich schmerzhaften Schicksalsschläge haben ihn noch gestärkt und er wird immer besser.Vom "Boot" durch das bewegte Leben mit vielen Erkenntnissen bis zu eurer Begegnung. Beeindruckender Weg! Und Psychotherapie gehört auch nach meinen Erfahrungen definitiv zu den guten Begleitern im Leben. Mein Coaching ist seit Jahren ein großer Bestandteil von Stabilität, um die ich oft genug gesundheitlich ringen muss.

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