Sonntag, 17. Mai 2015

Mut zum Improvisieren

Es gibt Situationen im Leben, da gibt es weder Plan A noch Plan B, weil alles im Wandel ist. Was gestern noch 100% gültig war, erscheint auf einmal sinnfrei, zumindest wenig sinnvoll. Was also tun, wenn es keine Rezepte, bekannte Handlungabläufe und Checklisten mehr gibt? Improvisieren. Das könnte eine Möglichkeit sein. Habe ich gehört. Und deswegen habe ich mich zu einem Workshop für Improvisationstheater angemeldet.


Die Kabarettistin und Schauspielerin Angelika Beier bietet Workshops in Schauspieltechniken wie Improvisation an. Gelernt hatte sie mal Töpferin, aber schnell zog es Angelika Beier auf die Bühne. Derzeit tourt sie mit ihrem Solo-Programm "Zwischen Sex und 60" durch Deutschland.



Die Welt ist eine Bühne

Shakespeare hatte sicher recht mit diesem Satz. Aber warum ich mich bei dem Workshop auf einer Bühne produzieren muss, leuchtet mir dennoch nicht ganz ein. Ok, Angelika Beier hat sehr eindrücklich vermittelt, dass man die Bühnenerfahrungen in den Alltag übertragen kann. Also alles, was man dort über Spontaneität, Körpersprache, Atmen, Stimme und Präsenz lernt, im normalen Leben nutzen kann. Klingt überzeugend. Zumindest in der Theorie. In der Praxis fühle ich mich reichlich mit der Aufgabe überfordert, einen Talkshow-Gast darzustellen. Also pointiert und schlagfertig darzustellen. In den 30 Minuten, die ich Zeit habe, mir die Figur auszudenken, überlege ich mir alles Mögliche, vor allem überlege ich mir Unmögliches, wie sich bei meinem dreiminütigem Auftritt zeigt. Ich will gut sein, witzig und vergesse so etwas einfaches wie regelmäßig zu atmen. Aber das Publikum ist gnädig und applaudiert. Applaus tut gut. Und weckt die Lust, weiter zu machen.


Höchstleistung ins Sachen Aufmerksamkeit  

Also mache ich mich motiviert an die zweite Übung: Zwei Teilnehmer stehen sich gegenüber, das Publikum (in unserem Falle die anderen Workshop-Teilnehmer) gibt den ersten und letzten Satz vor. Die beiden auf der Bühne entwickeln zwischen diesem ersten und letzten Satz eine Geschichte, immer im Wechsel, Satz auf Satz. Klingt sehr viel einfacher als es ist. Klingt nicht annähernd so herrlich irrwitzig wie es ist. Und so ganz nebenbei vergisst man als Akteur die Nervosität, spielt sich frei, schlüpft in Rollen, von denen man zuvor gar nicht wusste, dass sie in einem stecken. Unbedingt empfehlenswert! Und dabei fällt mir auf, dass Improvisation und improvement doch sicherlich einiges miteinander zu tun haben, steht doch das englische Substantiv für Verbesserung, Fortschritt, Vervollkommnung. 

Improvisation stärkt

Zum Einfluss des Improvisationstheaters auf die Persönlichkeitsentwicklung und Gruppenprozesse gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen. Besonders die Neurologen und Psychologen sind voll des Lobes.

Fitnessprogramm für neuronale Synapsen 

Beim Impro-Theater gibt es kein Drehbuch, keinen Regieplan. Jeder Mitwirkende bestimmt und beeinflusst den Fortgang der Geschichte. Dieses Improvisieren wirkt wie ein Fitnessprogramm auf die neuronalen Synapsen. Denn nichts regt mehr an, als im Moment zu sein und immer wieder neue Entscheidungen zu treffen.

Botschaft steckt nicht so sehr im Wort

Um überzeugend zu sein, genügt es nicht, die richtigen Worte zu wählen (wobei das natürlich auch wichtig ist). Denn gerade einmal 7 Prozent einer Botschaft hängen vom Inhalt des gesprochenen Wortes ab. Zu 55 Prozent entscheidet die Körpersprache darüber, ob und wie etwas ankommt, zu 38 Prozent die Stimme. Grund genug, sich zwanglos auf der Bühne auszuprobieren und Gestik, Mimik und Stimmführung zu trainieren

Habe ich jetzt eine Lösung?

Nein, die habe ich natürlich nicht. Es war ja kein Zauber-Workshop, sondern ein Training in Improvisation. Was ich dafür habe: einen ganzen "Werkzeugkasten", wie ich an meiner Körpersprache und Stimme arbeiten kann. Gegen Nervosität hilft zum Beispiel leises Summen. Denn dabei werden ganz automatisch Glückshormone produziert, die viel mächtiger sind als die unruhig machenden Stresshormone. Also werde ich jetzt häufig summen. Schadet sicher nichts auf dem Wegabschnitt, der vor mir liegt. 

4 Kommentare:

  1. Also, ich sage ja auch oft "It´s showtime!", um mich selbst zu pushen...

    Gar nicht so weit weg. Da knallen die Synapsen, auch durch deinen Text. Danke!

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    1. Manchmal ist so ne "Showtime" Gold wert. Vor allem wenn man trotz allem authentisch bleibt. Und das bist Du ja: Sehr authentisch, sehr norddeutsch schnörkellos, herrlich direkt und geistreich pointiert. Hast Du das schon mal auf der Bühne ausprobiert?

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  2. Wieder einmal ein toller und motivierender Text :) Ich liebe die herumspringenden Synapsen, weil sie neue Möglichkeiten auftun! danke Dir für diese Zeilen!

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    1. Und das Herrliche ist, diese Synapsen bekommen nie genug, lernen sogar dazu. Das habe ich ganz basis-praktisch erfahren, als ich vor nicht allzu langer Zeit wieder mit dem Autofahren anfing. Am Anfang dachte ich: HILFE, so viele Reize, so viel an das es zu denken gilt. Und jetzt denke ich weder ans Schalten, noch an Verkehrsregeln, sondern habe beim Fahren den Kopf frei für neue Gedankengänge

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